Elternrolle und Paarbeziehung

Wie wirkt sich die Elternrolle auf unsere Paarbeziehung aus und was können wir tun, damit Letzteres nicht aus dem Blick gerät?

Vielleicht plant ihr gerade eine Schwangerschaft. Vielleicht seid ihr aber auch bereits schwanger, steht kurz vor der Geburt oder die Geburt liegt gerade hinter euch. Vielleicht seid ihr seit Kurzem oder auch Längerem Eltern.

Egal in welchem Stadium: Die Elternrolle macht etwas mit der Paardynamik.

Mit dem Eltern-Werden verschiebt sich der Fokus im Leben. Fremd- statt Selbstbestimmung gibt den Ton an. Es braucht einen neuen Alltag, andere Absprachen, neue Grenzen und vor allem ganz viel Wertschätzung und Anerkennung. Sowohl im Zuge des Eltern-Werdens als auch im Eltern-Sein ist das Gefühl, gesehen zu werden mit all dem, was neu ist und dich beschäftigt, enorm wichtig. Es braucht ebenso die Möglichkeit, ambivalenten Gefühlen einen wertfreien Raum zu geben.

Viel zu selten gibt es jedoch die Gelegenheit, auch vermeintlich widersprüchliche Gefühle zu äußern. Dabei dürfen sich diese Emotionen und Gedanken auf unterschiedliche Bereiche beziehen: auf die Schwangerschaft und die neue Elternrolle, auf die Gefühle dem Partner/der Partnerin, aber auch dem ungeborenen und geborenen Kind gegenüber sowie natürlich auch in Bezug auf die eigene Identität und den eigenen Körper.

Es geht dann um jene Gefühle, die einem angeblichen Idealbild von Eltern- und Paar-Sein nicht entsprechen. Tatsächlich haben sie aber viel mehr mit der Realität zu tun als häufig angenommen. Und dennoch können uns diese Gedanken und Empfindungen selbst, aber auch unsere Beziehung enorm belasten.

 

  • „Mein Körper fühlt sich seit der Geburt schrecklich an.“
  • „Ich kann mich gar nicht über meine neue Rolle als Mutter/Vater/Elternteil freuen.“
  • „Ich will eine perfekte Mutter sein.“
  • „Ich habe mir das Eltern-Sein anders vorgestellt.“
  • „Ich vermisse mein altes Leben, dabei sollte ich doch glücklich sein.“
  • „Wir waren schon ewig nicht mehr intim.“
  • „Ich liebe mein Kind, aber ich fühle mich permanent unter Druck und bin unglücklich.“
  • „Mein Partner/meine Partnerin versteht mich nicht und ich muss alles alleine machen.“
  • „War die Schwangerschaft wirklich eine gute Idee?“

Um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen.

Als Beraterin ist es mir ein Hauptanliegen, solchen Emotionen und Gedanken Raum und Erlaubnis zu geben und sie zu normalisieren. Wir dürfen das denken, so fühlen und können lernen, mit Zweifeln und Schuldgefühlen umzugehen bzw. diese einzuordnen.

Wie wir die neue Lebenssituation angehen und gestalten, hängt von unseren individuellen Annahmen, Werten und Rollenbildern ab. Es geht um existenzielle Fragen wie:

  • „Was ist richtig, was ist falsch?“
  • „Wie sind die perfekten Eltern?“

Welche Ansprüche wir an unser Eltern-Sein stellen, ist also geprägt von der eigenen Erziehung, aber auch von gesellschaftlichen Ideal- und Rollenbildern sowie von Normen. Wir nehmen uns eventuell vor, alles anders zu machen, als es bei uns früher war. Mit dem Beginn der Elternschaft beginnt also zeitgleich etwas Neues, aber auch etwas Altes wird fortgeführt, schließlich sind wir trotz Schwangerschaft noch immer dieselben Menschen.

Anstelle eines reinen Neubeginns geht es vielmehr um die Zusammenführung und Integration des Alten in etwas Neues. Mit der Elternschaft treten ganz praktisch-organisatorische, aber auch körperlich-emotionale Belastungsfaktoren auf, die eine besondere Sensibilität, Wissen und Unterstützungsangebote erfordern. Jedoch sind für viele Menschen aufgrund von Schuld- und Schamgefühlen die Hürden hoch, sich Hilfe zu suchen. Hinzu kommt eine mangelnde Versorgungslage, wenn es um geeignete Beratungs- und Therapieangebote geht sowie ein vorherrschendes gesellschaftliches Schweigen um die enorme Herausforderung, Elternschaft und Partnerschaft in Einklang zu bringen.

Außerdem werden viele wichtige Beratungsangebote für Paare nicht von der Krankenkasse übernommen. Die schwangere Person erhält eine medizinische Versorgung und Nachsorge, auch das Baby wird durch die Kinderärzt*innen und Hebammen gut betreut, doch die Paarbeziehung wird nicht wirklich in den Blick genommen – dafür reichen Kapazitäten, Gelder, Verständnis und/oder Wissen selten aus.

Sowohl in meiner freiberuflichen Tätigkeit als Paar- und Sexualberaterin als auch in meinem Anstellungsverhältnis als psychosoziale Beraterin in einer Schwangeren- und Familienberatungsstelle mache ich immer wieder die Erfahrung, dass in der Zeit rund um die Entbindung – aber eben auch noch sehr lange darüber hinaus – die Paarbeziehung in Verbindung mit der Elternschaft besonderen Herausforderungen unterliegt: mangelnde Anerkennung, Gefühle von Ungerechtigkeit, Abhängigkeitsverhältnisse, Sehnsucht nach Intimität und Selbstbestimmung, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Die Ursachen für Beziehungsprobleme in Verbindung mit Elternschaft sind vielfältig:

  • In welcher emotionalen und gesundheitlichen Verfassung befinden sich die Eltern?
  • Gibt es ein unterstützendes Netzwerk?
  • Wird sich über eine faire Aufteilung von Care-Arbeit ausgetauscht?
  • Können (sexuelle) Bedürfnisse besprochen und erfüllt werden?
  • Und vor allem: Welches Idealbild von Paar- und Eltern-Sein prägt die Dynamik und das Verhalten der Eltern?

Wichtig ist natürlich auch zu sehen, in welchen gesellschaftlichen Strukturen wir leben und welchen Rahmen uns die Politik vorgibt:

  • Wie steht es um die Aufteilung der Elternzeit?
  • Welche Paarkonstellation wird (steuerlich) begünstigt?
  • Wie schnell finde ich einen Beratungs- oder Therapieplatz?
  • Welches Elternbild vermitteln uns Werbungen, Serien, Filme, Gesetzgebung und auch unsere Mitmenschen und Familien?

Wenn das Paar eine wertschätzende Kommunikation hat und ihr eigenes Idealbild kritisch reflektieren kann, ist das ein erster großer Schritt. Es ist aber auch eine hohe Kunst und gar nicht so leicht, in Zeiten emotionaler Besonderheit wie im Prozess des Eltern-Werdens, aber auch im Zuge des Eltern-Seins. Es herrschen so viele Unsicherheiten. Wenn Paare beispielsweise erfahren, dass Sex theoretisch einen Monat nach der Geburt (je nach Geburtsverlauf und mit Verhütung) wieder möglich sei, ihr letzter Sex aber bereits ein Jahr zurückliegt, dann macht das etwas mit dem Selbst- und Paarwert. Viele stellen sich infrage und denken, dass mit Ihnen oder ihrer Beziehung etwas nicht stimme.

Der Druck und die Anforderungen, neben dem Eltern-Sein auch das Paar-Sein perfekt zu meistern, ist belastend. Mit der Elternschaft schließen sich unzählige Türen und neue gehen auf. Diese sind zu den alten unterschiedlich und benötigen einen neuen Blick, eine neue Kommunikation, neue Berührungen und vor allem Geduld und Wohlwollen.

Ein wichtiger Aspekt ist natürlich auch, welche möglichen Besonderheiten ein Kind mit sich bringt.
Es gibt also mächtig viel zu beachten. Eine komplette Vorbereitung auf das Eltern-Sein ist nicht möglich, ein wichtiger Punkt ist, sich in Flexibilität zu üben. Der Familienratgeber „Sex ist wir Brokkoli“ vom Sexualpädagogen Carsten Müller greift einige dieser Aspekte auf und es lohnt sich, das Buch in vielerlei Hinsicht zu lesen.

Ich würde mir wünschen, dass sowohl bereits in der Geburtsvorbereitung als auch in der Nachsorge Paaren immer wieder die Möglichkeit gegeben wird, ihre Beziehung zum Thema zu machen. So wie das Kind regelmäßig zu seinen U-Untersuchungen muss, so würde ich mir die feste Integration von Paarberatungen wünschen, die allen Paarkonstellationen offen steht. Leider gibt es nicht die eine goldene Regel, die uns verrät, wie die Beziehung im Kontext von Eltern-Sein perfekt bleibt bzw. wird. Ein hilfreicher Gedanke ist auf jeden Fall, den eigenen Perfektionismus sowohl an die Beziehung als auch an die Elternrolle zu hinterfragen und ebenso beides als einen Prozess zu verstehen, der einem steten Wandel unterliegt.
Hinzu kommt eine unterstützende Mischung aus Flexibilität und pragmatischen Absprachen in Bezug auf eine faire und für beide annehmbare Aufgabenverteilung hinsichtlich Care-Arbeit. Wenn beide die Bereitschaft haben, auch an eigenen Themen zu arbeiten, dann ist schon viel gewonnen.

Und wie ich eingangs beschrieben habe, geht es viel mehr um die Integration des Alten in etwas Neues, als um etwas komplett Neues oder gar den verzweifelten Versuch, das alte Leben krampfhaft aufrecht zu erhalten.

 

Im Rahmen meiner Paar- und Sexualberatung schauen wir uns eure Beziehung im Kontext von Elternschaft an. In einem geschützten Rahmen dürft ihr Zweifel, Sorgen und Ängste zum Thema machen. Wir finden heraus, was euch bewegt, was zu kurz kommt und wie ihr euch mit beiden Aufgaben, Identitäten und Rollen wohlfühlen und miteinander respektvoll und auf Augenhöhe umgehen könnt.